Zur Annahme von Verwechslungsgefahr reicht es aus, wenn sich zwei kollidierende Marken in klanglicher Hinsicht ähneln. Selbst deutlich erkennbare schriftbildliche Unterschiede können diese kollisionsbegründend Ähnlichkeit nicht neutralisieren. (Leitsatz der Redaktion)
Sachverhalt
Gegenstand der Entscheidung ist die deutsche Wortmarke Sinuvex, die für pharmazeutische Erzeugnisse und andere Waren in Klassen 5, 29 und 30 eingetragen wurde. Hiergegen wurde Widerspruch erhoben. Der Widerspruch wurde insbesondere auf die Gemeinschaftswortmarke CinnoVex gestützt, die ebenfalls für pharmazeutische Erzeugnisse in Klasse 5 geschützt war. Die Widerspruchsstelle für Klasse 5 des DPMA sah Verwechslungsgefahr und ordnete die vollständige Löschung der angegriffenen Marke an.
Entscheidung
Die gegen diesen Beschluss gerichtete Beschwerde bleibt erfolglos. Das BPatG bestätigt das DPMA in seiner Beurteilung, dass für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen besteht. Die sich gegenüberstehenden Waren seien teils identisch, im Übrigen sei eine zumindest durchschnittliche Warenähnlichkeit gegeben. Zudem seien die sich gegenüberstehenden Zeichen in klanglicher Hinsicht hochgradig ähnlich. Insgesamt könne selbst bei gesteigerter Aufmerksamkeit des Verkehrs Verwechslungsgefahr nicht verneint werden. Insbesondere können die klanglichen Ähnlichkeiten durch die markanten schriftbildlichen Unterschiede zwischen Sinuvex und CinnoVex nicht ausgeglichen werden. Es entspräche herkömmlicher deutscher Auffassung und ständiger Praxis, dass Verwechslungsgefahr bereits dann zu bejahen ist, wenn sich zwei Marken in einer Richtung annähern. Der vom EuG entwickelten und vom EuGH gebilligten Neutralisierungslehre, wonach Ähnlichkeiten in einer Richtung (z.B. klanglich) durch deutlich erkennbare Abweichungen in einer anderen Richtung (z.B. schriftbildlich) aufgehoben werden können (vgl. EuGH, GRUR 2006, 237, Rn. 20 – PICASSO; GRUR 2006, 413, Rn. 35 – ZIRH/SIR; GRUR 2008, 343, 344, Rn. 32, 34 – BAINBRIDGE), schließe sich der Senat nicht an (vgl. BPatG, GRUR 2010, 78 – Xxero Luxury Cosmetics/zero).
Anmerkung
Es ist eine Binsenweisheit, dass das Gemeinschaftsmarkensystem von den harmonisierten Markenrechten der Mitgliedstaaten der EU autonom ist. Die vorliegende Entscheidung zeigt beispielhaft auf, dass trotz weitreichender Ähnlichkeiten beider Systeme, streitentscheidende Detailfragen doch anders entschieden werden können. Die Ablehnung der gemeinschaftsrechtlich anerkannten Neutralisierungslehre führt im Anwendungsbereich des MarkenG zu einem insoweit strengeren Maßstab, bei dem Verwechslungsgefahr eher anzunehmen sein kann, als im Gemeinschaftsmarkenrecht. Die praktischen Auswirkungen sind freilich gering, da es sich insoweit ohnehin nur um eine selten einschlägige Ausnahmeregelung handelt. Der Grundsatz, dass bereits Ähnlichkeiten in einer Richtung kollisionsbegründend wirken können, gilt selbstverständlich auch für das Gemeinschaftsmarkenrecht. Ein in der vorliegenden Entscheidung nicht angesprochener, inhaltlich allerdings zusammenhängender Punkt, ist die Frage, ob es aufgrund der konkreten Vermarktungssituation im Einzelfall geboten ist, der klanglichen oder der bildlichen Ähnlichkeit besonderes Gewicht beizumessen. Hier gibt es auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts und des deutschen Markenrechts eine teils divergierende und nicht immer ganz konsistente Entscheidungspraxis, wonach in Abhängigkeit von der Verfügbarkeit des jeweiligen Arzneimittels (rezeptpflichtig, apothekenpflichtig oder frei erhältlich und z.B. in Drogeriemärkten vertrieben) insoweit unterschiedliche Akzente gesetzt werden.
© Dr. David E.F. Slopek, LL.M.